
Das Schaffen des Malers und Grafikers Léo Maillet spiegelt die zahlreichen Brüche in seiner Biografie wider. Nach Maillets dramatischer Flucht aus einem Deportationszug lebte er ab 1942 in den französischen Cevennen unter falscher Identität. Er malte und zeichnete mit einfachsten Materialien. 1943 zerstörte die Gestapo alle Gemälde, Zeichnungen und Druckplatten, die er in seiner Pariser Wohnung zurücklassen musste.
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Einige Jahre später griff er die während seiner Flucht und Verfolgung entstandenen Arbeiten sowie einige der zerstörten Werke wieder auf und setzte sie in Gemälde und Radierungen um.
Die so entstandenen Grafiken sind einerseits künstlerische Reflexionen des eigenen Schaffens und andererseits Auseinandersetzungen mit der eigenen Verfolgung. Dass letztere bei Maillet bereits wenige Jahre nach dem Kriegsende einsetzt, ist eher ungewöhnlich. Denn sowohl bei Überlebenden als auch im Kontext der entstehenden Erinnerungskultur begann eine intensive Verarbeitung der Schoa erst Ende der 1970er Jahre.

1971 veröffentlichte Maillet eine Mappe mit zwölf Radierungen, die Motive von Zeichnungen und Aquarellen aufgriffen, die zwischen 1940 und 1945 entstanden. Er nannte diese Mappe nach einem der darin enthaltenen Blätter „Entre chien et loup“. Wörtlich bedeutet diese französische Redewendung "zwischen Hund und Wolf". Im übertragenen Sinne ist damit der Zwischenzustand der Dämmerung gemeint, in deren Zwielicht, Hund und Wolf kaum zu unterscheiden sind und die Ungewissheit herrscht. Maillets eigene Situation im französischen Exil war seit dem Einmarsch der Deutschen von extremer Unsicherheit geprägt. Obwohl er immer wieder Unterstützer und Helfer fand, die sein Überleben ermöglichten, schwebte die Gefahr der Denunziation und Verhaftung doch permanent über ihm.

Die Radierung mit dem fragmentierten Selbstbildnis basiert auf einer Zeichnung, die in den französischen Cevennen entstand. Maillet lebte mit gefälschten Papieren als Ziegenhirte. Mit Hilfe einer Fluchthilfeorganisation sollte nun über die Schweizer Grenze gebracht werden. Am Tag des Aufbruchs zerbrach Maillet in seiner Aufregung seinen Rasierspiegel. Mit wenigen, hastigen Strichen skizzierte er das Gesicht, das sich verzerrt in den Scherben spiegelte. Dieses Motiv, in dem sich seine Zerrissenheit als Exilant und Künstler symbolhaft verdichtet, faszinierte Maillet offenbar derart, dass er es später nicht für nur diese Radierung, sondern auch ein Ölgemälde adaptierte.