Weltweit sind nur acht Exemplare dieses Typs von Besamim-Türmen bekannt. Die anderen Gewürztürme befinden sich in Würzburg, Jerusalem, New York, London, Kopenhagen, Paris und Tel Aviv. Der Frankfurter Turm ist besonders gut erhalten. Die Türme wurden im 18. Jahrhundert in Schwäbisch Gmünd hergestellt, in dem es damals keine jüdische Gemeinde gab. Die Auftraggeber dieser acht Türme sind unbekannt. Offensichtlich waren sie bereit, zeitraubende organisatorische und auch finanzielle Anstrengungen auf sich zu nehmen, um möglichst schöne und wertvolle Ritualgegenstände anfertigen zu lassen. Die Bilder, die auf zwei Stockwerken des Turms zu sehen sind, zeigen bekannte biblische Geschichten. Die Darstellungen folgen den Illustrationen der »Icones Biblicae« von Matthäus Merian, einem christlichen Künstler. Sie wurden 1625–1627 in Frankfurt am Main veröffentlicht und waren weit verbreitet. Die Bilder zeigen folgende Szenen: Elieser am Brunnen mit Rebekka, Isaak segnet seinen Sohn Jakob, Jakobs Traum von der Himmelsleiter, Jakob ringt mit dem Engel und erhält den Namen Israel. Auf dem oberen Teil: die verstoßene Hagar und ihr Sohn Ismael in der Wüste, Moses vor dem brennenden Dornbusch, Samson trägt die Tore von Gaza, Samson und Dalila. Es ist ein alter jüdischer Brauch, das Besamim-Gefäß als Turm zu gestalten. Das Material und die Ausführung dieses Besamim-Turms sind hingegen ungewöhnlich: Die Kombination aus Silberfiligran und Emaille wurde sonst für christliche Ritualobjekte wie Kruzifixe benutzt. Offensichtlich kannte der jüdische Auftraggeber solche Werke und hat den Turm nach ihrem Beispiel arbeiten lassen. Die bildlichen Darstellungen auf dem Turm haben ebenfalls christliche Vorbilder. Dieser Besamim-Turm verdeutlicht, dass die christliche Bilderwelt sich auch bei Objekten widerfindet, die im jüdischen Ritus verwendet wurden.
Direktorin Mirjam Wenzel
„Diesen Besamim- oder Gewürzturm mag ich ganz besonders gerne, weil er so viele Geschichten auf einmal erzählt: Er wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Schwäbisch Gmünd gefertigt, wo es damals keine jüdische Gemeinde gab. Er zitiert nicht nur Darstellungen aus der christlichen Bilderbibel. Die orientalisierende Form des Turms spiegelt auch, welche Vorstellungen der christliche Silberschmied mit jüdischen Ritualen verband."
Objektdetails
Titel |
Besamim-Büchse mit Bildern aus der Merian-Bibel |
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Künstler*in / Hersteller*in |
Unbekannt |
Datierung |
1. Hälfte 18. Jh. |
Objektbezeichnung |
Behälter |
Sammlungsbereich |
JMF Judaica |
Ort |
Schwäbisch Gmünd |
Maße |
30,5 x 9,8 x 9,8 cm, Fuß 10,3 x 9,8 cm, Turm cm, Turm D max. 6,3 cm |
Material / Technik |
Silberfiligran mit Glasflüssen besetzt |
Literatur |
Heuberger, Georg (Hrsg.), Die Pracht der Gebote - Die Judaica-Sammlung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Köln: Wienand, 2006., Die Frankfurter Judengasse, Beck Verlag, München 2016 |
Bildlizenz |
Jüdisches Museum Frankfurt CC BY-SA 4.0 |
Erwerbsdatum |
1987 |
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Vorbesitz |
1987 - dato: Jüdisches Museum Frankfurt, 19.12.1938 - 1939: Beschlagnahme durch die Gestapo, danach wieder im HMF, 1897 - 1987: Historisches Museum Frankfurt, 1700/1750 - ?: Verbleib unbekannt |
Inventarnummer |
JMF1987-0056 |
Jetzt ausgestellt
Museum Judengasse, Juden und Christen
Dauerausstellung Museum Judengasse "Massel und Broche - Die Frankfurter Judengasse"
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