Juden und Christen zur Zeit der Judengasse, Geschichten

Zur Zeit der Judengasse lebten Juden und Christen in Frankfurt räumlich getrennt. Dennoch herrschte ein reger Austausch zwischen der jüdischen und christlichen Lebenswelt.

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Obwohl Juden und Christen in Frankfurt zur Zeit der Judengasse räumlich getrennt lebten gab es viele Überschneidungen im Alltag. Sie unterhielten ein vielseitiges Beziehungsgeflecht mit zahlreichen Berührungspunkten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Natur. Dieses gemeinsame Leben war aber auch durch zahlreiche Konflikte geprägt.

Welche Berührungspunkte gab es?

Christen waren regelmäßig bei jüdischen Feierlichkeiten zu Gast, jüdischen Lehrer gaben christliche Theologen Hebräischunterricht und wenn am Schabbat Juden das Arbeitsverbot einhielten war christliches Personal im jüdischen Haushalt zugange. Aber auch die Frankfurter Wirtshäuser waren ein beliebter gemeinsamer Treffpunkt. Da eine zentrale Erwerbstätigkeit in der Judengasse der Warenhandel war und viele der dortigen Häuser Warenlager hatten, zog es Christen, Gäste und Durchreisende zum Einkauf dorthin. Außerhalb der Judengasse waren wiederum jüdische Warenhändler im Frankfurter Stadtraum unterwegs.

Was sind Zeugnisse des Verhältnisses von Juden und Christen?

Der Austausch beider Lebenswelten schlug sich auch im Kulturleben mit den jeweiligen Ideen und Vorstellungen nieder. Beispielhaft hierfür stehen Ritualobjekte, die von Juden bei christlichen Handwerkern in Auftrag gegeben wurden. Diese Arbeiten waren in ihrem Ergebnis meist eine Melange von Vorgaben der jüdischen Auftragsgeber mit den Gestaltungsideen der christlichen Handwerker: So konnte ein Kiddusch-Becher einem Abendmahlskelch sehr ähnlich sehen.

JMF1987-0121

In zahlreichen jüdischen Ritualobjekten unserer Sammlung sind christliche Traditionsbilder, Frankfurter Traditionen oder die Initialen der christlichen Auftragnehmer zu finden.

Gewürzturm, Schwäbisch Gmünd, 1. Hälfte 18. Jh., Silberfiligran, Emaille, Glassteine, Jüdisches Museum Frankfurt

Der Besamim-Turm weist als jüdisches Ritualobjekt christliche Elemente auf: So war die Kombination aus Silberfiligran und Emaille typisch für christliche Altarobjekte. Ebenso entsprechen die bildlichen Darstellungen denen der christlichen Merianbibel.

Auch in der Musik und Literatur wurden Motive für den jüdischen bzw. christlichen Kontext kopiert und übernommen. Christliche Kirchenmusik und jüdische Heldenromane wurden angepasst und in die eigene Lebenswelt übernommen.

Konflikte zwischen Juden und Christen

Während des Bestehens der Judengasse prägten auch Konflikte das Zusammenleben. In dieser Zeitspanne wurden den jüdischen Bewohner*innen von christlicher Seite über 100 Vorschriften auferlegt. Dieses Regelwerk nannte man „Stättigkeit“. Hierzu zählten zeitlich limitierte Aufenthaltsrechte in der Judengasse, das Tragen von bestimmten Kleidungen oder die Beschränkung von Handelsgeschäften. Zwischen jenen Verordnungen und ihrer Ausführung im Alltag bestanden allerdings häufig Differenzen.

Einen katastrophalen Höhepunkt stellte der sogenannte «Fettmilch-Aufstand» dar, bei dem die Juden aus der Judengasse vertrieben und ihre Häuser geplündert wurden. Erst nach Intervention des Kaisers und dessen Niederschlagung des Aufstandes konnten die Juden aus der Umgebung, in die sie flohen, in die Judengasse zurückkehren.

Vinz-Hans-Lied, Fragment aus der Genisa Reckendorf, vermutlich Frankfurt am Main, wohl 19. Jh., Jüdisches Kulturmuseum und Synagoge Veitshöchheim

Mit der Niederschlagung des sogenannten «Fettmilch-Aufstands» ließ der Kaiser den Rädelsführer und Teile seiner Anhänger hinrichten. Das Vinz-Hans-Lied beschreibt in Jiddisch die Ereignisse rund um den Aufstand und wurde immer zum Jahrestag der Rückkehr der Juden nach Frankfurt gesungen.