Ende 1942, also rund ein Jahr nach seiner Entlassung aus dem englischen Internierungslager, begann der deutsch-jüdische Expressionist Ludwig Meidner (1884-1966) im englischen Exil einen Zyklus von Aquarellen und Kohlezeichnungen. Darin thematisierte er die systematische Ermordung der Juden in Zuge der von den Nationalsozialisten so genannten „Endlösung der Judenfrage“.
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Den Zyklus nannte Meidner zunächst „Leiden der Juden in Polen“ und später „Massacres in Poland“. Er umfasst nach unterschiedlichen Zählungen zwischen 40 und 50 Blätter. Der Zyklus ist keine homogene Bildfolge mit einer einheitlichen Struktur und einer eindeutigen Reihenfolge. Es handelt sich vielmehr um Darstellungen in unterschiedlichen Techniken, die sich dem Thema des Völkermords auf unterschiedliche Weise näheren. Neben Bildern, die die Verfolgung eher indirekt zeigen – etwa in den Gruppen von Klagenden oder Flüchtlingen – gibt es auch sehr drastische Darstellungen – beispielsweise von Massenerschießungen oder Gaskammern.
Ludwig Meidner, Brief an Hilde und Walter Rosenbaum vom 13./20. Januar 1943
Seit Wochen arbeite ich an einem Cyclus aquarellierter Zeichnungen ‚Leiden der Juden in Polen‘. So, auf solche Weise bin ich genötigt, immerfort, immerfort an das Schicksal meiner Brüder zu denken.
Bei Meidners Zyklus handelt es nicht im engeren Sinne um ein Zeitzeugnis. Meidner hat die Schoa nur aus dem Exil erlebt, war also kein unmittelbarer Zeuge der Geschehnisse. Stattdessen versuchte er anhand der unterschiedlichen Berichte, die ihn erreichten, das schreckliche Geschehen in Bilder zu fassen. Diese Bilder dienten nicht dazu Zeugnis abzulegen, sondern waren in erster Line Hilfsmittel, sich das Unvorstellbare vorzustellen. Indem er Eindrücke aus den Presseberichten und -fotos in seinen Zeichnungen und Aquarellen visualisierte, versuchte er damit umzugehen und sie zu verarbeiten.
Bei Meidners Zyklus handelt es nicht im engeren Sinne um ein Zeitzeugnis. Meidner hat den Holocaust nur aus dem Exil erlebt, war also kein unmittelbarer Zeuge der Geschehnisse. Stattdessen versuchte er anhand der unterschiedlichen Berichte, die ihn erreichten, das schreckliche Geschehen in Bilder zu fassen. Diese Bilder dienten nicht dazu Zeugnis abzulegen, sondern waren in erster Line Hilfsmittel, sich das Unvorstellbare vorzustellen. Indem er Eindrücke aus den Presseberichten und -fotos in seinen Zeichnungen und Aquarellen visualisierte, versuchte er damit umzugehen und sie zu verarbeiten.
Kurz vor Kriegsende erfuhr Ludwig Meidner vom vollen Ausmaß der Gräuel der Schoa, die ihn zutiefst erschütterten. In einem Brief an einen seiner ehemaligen Schüler schrieb er wenige Tage vor der Kapitulation der Deutschen:
„Hier in London herrscht seit 2 Wochen berechtigte Erregung über die Schreckenslager in Deutschland, von denen jetzt entsetzliche Photos öffentlich ausgestellt sind, solche, die meinen Cyclus ‚Massacres in Poland‘, an dem ich seit fast 2 Jahren arbeite, völlig ad absurdum führen, weil diese meine Blätter völlig harmlos u. gemütlich erscheinen mögen neben jenen Dokumenten der grausigen Wirklichkeit. Man kann diesen Begebenheiten garnicht genug Publizität verschaffen. Sie bezeugen leider das Ende des humanen Zeitalters und den Anfang einer Barbarei, von der man noch nicht sagen kann, in welches dunkle Elend sie uns hineinführen wird.“
(Brief von Ludwig Meidner an Siegbert Prawer vom 3. Mai 1945, Jüdisches Museum Frankfurt, Dauerleihgabe von Jon Prawer)
Ludwig Meidner hat seinen Holocaustzyklus nicht fortgesetzt. In den folgenden Jahren widmete er sich hauptsächlich religiösen und fantastischen Darstellungen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland malte er auch wieder Porträts und Landschaften.