Was ist jüdisch?, Geschichten

Diese Kernfrage berührt vielfältige Bereiche des Judentums und ist eigentlich gar nicht zu beantworten. Eine jüdische Zugehörigkeit kann sich unterschiedlich ausdrücken und setzt sich meist aus vielen Komponenten zusammen.

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Wer ist jüdisch?

18 Jewish Identities (c) 2006 Ben Baruch

Ob ein Mensch jüdisch ist hängt von der Definition ab, der sich der- oder diejenige zuordnet. Hierbei gibt es unterschiedliche Perspektiven: Die meisten jüdisch-religiösen Richtungen von liberal bis orthodox sagen: Wer eine jüdische Mutter hat oder vor einem Rabbinatsgericht zum Judentum übergetreten ist, ist jüdisch. Was aber ist mit denjenigen, bei denen lediglich der Vater jüdisch ist? Gibt es eine historische, traditionelle oder gar ausschließlich religiöse Zugehörigkeit?

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Klapheck

Wer einen Vater hat, der die Schoa überlebt hat, ist ganz zwangsläufig in einem jüdischen Paradigma.

Portrait Rabbinerin Elisa Klapheck

Prof. Dr. Elisa Klapheck , Rabbinerin der liberalen Synagogengemeinschaft „Egalitärer Minjan“ in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, im Filminterview, Frankfurt am Main 2018

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Soussan

Das Judentum ist ein Schicksalsvolk. Wir teilen mit uns eine gemeinsame Geschichte und diese Geschichte wird tradiert über die Eltern und damit eben auch über den Vater. Das heißt, solche Menschen sind sozusagen Teil dieser Schicksalsgemeinschaft, auch gerade weil sie immer wieder von außen als jüdisch betrachtet worden sind.

Portrait Rabbiner Julian-Chaim Soussan

Julian-Chaim Soussan, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, im Filminterview, Frankfurt am Main 2018

Jüdische Geschichte folgt der jüdischen Perspektive!

Eine Jüdische Geschichte richtet den Blick nicht von außen auf jüdische Menschen und ihre Geschichte, unter Berücksichtigung nichtjüdischer Quellen, die oft ein durch Judenfeindschaft und stereotype Vorstellungen verzerrtes Bild wiedergeben. Vielmehr folgt sie der jüdischen Perspektive, wie sie in innerjüdischen, häufig hebräischen oder jiddischen Quellen zum Ausdruck kommt. Eine handschriftliche jüdische Quelle über den Großbrand in der Frankfurter Judengasse 1711 ist im Einband des Werkes „Pri Chadasch“ zu finden, erschienen im Jahre 1672 in Amsterdam. Hierin beschreibt Eliezer Lipman wenige Tage nach der Brandkatastrophe in hebräischer Sprache sehr bewegend seine Eindrücke:

In diesem Buch befindet sich eine handschriftliche Schilderung über den Brand in der Judengasse 1711, Pri Chadasch, Amsterdam, 1672

„Am ersten Tag ließ ich all meine Verpflichtungen zurück und machte mich auf den Weg nach Frankfurt. Es gibt nichts Vergleichbares, mit eigenen Augen zu sehen, wie die Krone der berühmten Stadt, der Freude der ganzen Welt, der jüdischen Metropole herunterfiel. Tora-Rollen und viele Heilige Bücher waren verbrannt.“

Die europäisch-jüdische Geschichte ist durch eine Vielzahl von Verfolgungs- und Gewalterfahrungen geprägt. Die Tagebücher der Frankfurterin Anne Frank sind hierfür das vielleicht bekannteste Beispiel.

Speisekarte des Restaurants „Maxie Eisen“ mit „Pastrami-Sandwich“ und „Matzo Ball Soup“, Frankfurt am Main 2018

Das „Maxie Eisen“ ist eine Mischung aus Café, Deli und Bar im Frankfurter Bahnhofsviertel. Es ist nach einem jüdischen Gangster aus dem Chicago der 1920er-Jahre benannt, einem Gegenspieler Al Capones. Die Speisenauswahl ist von Rezepten der Großmutter der Betreiber inspiriert, traditionelle jüdische – aber nicht koschere - Speisen. Sind diese traditionell jüdischen Speisen in einem Frankfurter Café ein Ausdruck jüdischer Kulturen?

Gibt es jüdische Gegenstände?

Kiddusch-Becher zur Bar Mizwa von Paul Bloch, 1924

Bei jüdischen Ritualobjekten wie beispielsweise einem Kidduschbecher für den Schabbat ist diese Bezeichnung einleuchtend. Aber was ist mit einer Davidstern-Kette oder gar einer Schlumpf-Figur mit Tallit, einem Gebetsschal? Müssen die Menschen, die sich so etwas in die Vitrine stellen, jüdisch sein? Und wenn ja, nach welcher Definition?

„Jüdisch sein“ ist ein Zustand mit vielen Fragen und ohne endgültige Antworten. Er birgt einen Facettenreichtum mit Spots, Geschichten, vielfältigen Zugängen und letztendlich Menschen und ihren Gegenständen.

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